Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Eine Mitfahrgelegenheit. Dann die Nächste. Eine Weitere. Lachen, reden, austauschen, glücklich sein, aus dem Fenster gucken, entspannen, Landschaft vorbei rauschen lassen…

Jetzt sind wir hier! Glenorchy!

Das Rentnerpaar verabschiedet sich von uns, wir winken kurz und während das Auto zwischen einigen anderen verschwindet verschaffen wir uns einen ersten Eindruck. Einige Motels, ein kleiner Bioladen auf der anderen Straßenseite, viel Landschaft… Das ist es also, Glenorchy.

Wir stehen immer noch da, an der Straße, mit einigen Einkaufsbeuteln in der Hand und müssen unser Glück erst einmal fassen. Achja, das Hitchhiken, es kann so schön sein, wenn man ganz unverhofft, so wie wir jetzt, schon kurz nach Mittag dort ankommt, wo man im schlimmsten Fall einen ganzen Tag hätte hinlaufen müssen. Doch ehe man es wirklich glauben kann, sitzt man auf den weichen Sitzen, die Landschaft rauscht bei der ein oder anderen Unterhaltung draußen vorbei, plötzlich ist es egal, dass am Horizont dunkle Regenwolken aufziehen und jegliche schlechte Laune wird durch Dankbarkeit und dem Glauben an das Gute im Menschen ersetzt.

Wir zwei glückliche Menschen stehen immer noch da wie abgestellt, am Rand der Straße. Kurze Besinnungspause, achja wir wollten ja zum Campingplatz. Auch der ist nicht weit, ziemlich genau auf der anderen Straßenseite eigentlich, neben dem kleinen Mrs Wollys Bioloaden finden wir unsere Mrs Wollys Campsite. Wer hätte das gedacht?

Wir bekommen den letzten und wie wir kurz darauf sehen auch einzigen Schattenplatz (kleiner Te Araroa Hiker-Bonus ?), die Kiwis lieben es einfach wenn man ihr Land zu Fuß bereist.

Können wir noch glücklicher sein? Schwer vorstellbar.

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Das Zelt steht, die Vorräte für die nächsten Wandertage liegen im Kühlschrank. Zeit sich Gedanken über das Abendessen zu machen.

Mm naja, es gestaltet sich schwieriger als erwartet. Außer diesem Bioladen (getarnt als General Store) gibt es hier leider keine Möglichkeit Essen aufzutreiben. Das Problem: die Preise dieses „General Stores“ liegen leider außerhalb des für uns noch finanzierbaren Bereichs. Ups…

Plan B: mal sehen was das günstigste essbare Produkt ist, welches der Laden führt! 10 Dollar ärmer und einer Packung Nudeln reicher sitzen wir wenige Minuten später wieder in der süßen Campingküche. Zumindest haben wir noch etwas Avocado und Käse von heute morgen übrig, klingt doch nach einem kleinen Gourmetessen oder nicht?

Zeit an Morgen zu denken: Vorräte eingekauft, check. Route rausgesucht, check. Jippiiii wir können alles abhaken! Oder ne, Mist. Wir haben uns für morgen einen „kleinen“ Umweg vorgenommen. Anstatt vom Greenstone Carpark 11km bis zur Greenstone Hut zu laufen werden wir 55 km brauchen. Aaaaber dafür laufen wir über den Routeburn Track! Einer der neun Great Walks in Neuseeland! Es soll so schön sein. Landschaft und so, ihr wisst schon.

Ok nagut. Einen Haken gibt es. Ohne einen „Great Walk Hut Pass“, der übrigens sage und schreibe 65 Dollar pro Nacht kostet (65 Dollar!!!) müssen wir den Track zwangsläufig in einem Tag durchlaufen. 32Kilometer also, plus die 5 Kilometer bis zur nächsten „normalen“ Hütte. Ob wir uns das gut überlegt haben? Ähm, ja… natürlich ?. Erstmal hört es sich für uns hauptsächlich gut an, und ob es anstrengend wird werden wir ja noch früh genug sehen, mmh naja 37km was ist das schon ??

Achja da war auch noch etwas. Wir müssen da ja auch erstmal hinkommen. Ansich klar, hitchhiken ist ja in Neuseeland kein Problem. Aber ehrlich gesagt möchte ich ja nicht erst morgen Mittag loslaufen (welcher Tourist ist schon so irre und fährt früh um sieben schon durch die Gegend?), wenn ich weiß welche Strecke da noch vor uns liegt.

Aber es wäre nicht Neuseeland, wenn es nicht für alle touristischen Ziele ein kommerzielles Angebot geben würde. Micha telefoniert schon mit dem Shuttleservice… aber … leider … schlechte Nachrichten. Der Shuttle fährt erst gegen neun Uhr. Mist. Zu spät wenn man zwölf Stunden Wanderung vor sich hat. Was jetzt? Wir überlegen lange hin und her, und entscheiden uns letztendlich gegen den Routeburn Track. ???

Was machen ein Micha und eine Miri wenn alles nicht nach Plan läuft? Richtig, essen. Naja erstmal kochen zumindest. Oder dessen Versuch. Leider geht der Herd nämlich nicht an. Ein deutsches Paar, welches dem Geschehen unauffällig gefolgt ist, kommt uns zu Hilfe (wir müssen sehr bedürftig ausgesehen haben ?). Juhu eine kleine blaue Flamme züngelt auf. Eine Stunde(!) später genießen wir unsere Gourmetnudeln und haben sogar doch noch ein Shuttle gefunden. Die beiden werden uns fahren. Heute die „Wir können unser Glück nicht fassen“ Situation Nummer … ja die wie vielte denn nun? Wir einigen uns auf Nr. 5, nach drei Hitchhikes und einem Deluxe-Schattenplatz fürs Zelt könnte es ganz gut hinkommen.

Total müde und schon im Halbschlaf im Zelt liegend werde ich später von Micha wachgerüttelt. Das Paar lädt uns auf einen Wein an ihrem Campervan ein. Das sollte man doch besser nicht ausschlagen ?!

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

6 Uhr der Wecker klingelt. Oh mein Gott, seit wann ist sechs Uhr denn bitte sooo verdammt früh? Es ist nicht einmal wirklich hell draußen.

Was solls, die planmäßige Abfahrt unseres Privatshuttles (alias Jonas und Anjas Campervan) ist in einer Stunde. Also zacki zacki, frühstücken, Zähne putzen, Isomatte einrollen, Zelt abbauen. Ich fühle mich wie in einem Zeitrafferfilm, Micha rennt nach da, schon ist er wieder dort … Punkt sieben stehen wir neben einer verschlafenen Anja und einen hellwachen Jonas. Puh geradeso geschafft.

Wir nehmen auf der bequemen Schlafcouch im Kofferraum Platz und bekommen noch ein paar Infos über die Gegend, auch wenn, aufgrund Jonas Fahrkünsten auf der Schotterstaße nur die Hälfte zu verstehen ist.

Wir sind da! Kaum zu übersehen, anhand des riesigen Informations“häusschens“ und einem überdimensionierten Busparkplatz.

Wir wandern motiviert los und, tja, was sollen wir sagen, der Track ist definitiv das was man von ihm sagt. Besonders. Aber nicht nur besonders schön, sondern auch, besonders gut ausgebaut (nicht das Tourist in seinen Sandalen noch über einen Stein stolpert!), besonders aufgrund der „Flushing Toiletts“ (Spühltoiletten) die plötzlich zwischen den Farnen auftauchen (ich möchte wissen wie das funktioniert!) und der 5 Sterne Lodges in welche man als Teilnehmer einer geführten Wanderung abends einkehrt. Besonders gut besucht natürlich auch, aber das ist wohl das Einzige was mich nicht überrascht.

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Wir schießen mehr Fotos, als das wir wandern, aber hinter jeder Kurve versteckt sich ein weiterer Wasserfall, ein weiterer Bergsee oder eine weitere unbeschreiblich schöne Aussicht.

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Falls ihr euch also fragt ob dieser Great Walk seinen Ruhm verdient hat, ja hat er, aber sowas von. Es ist fast schon schade, das wir uns nur einen Tag Zeit nehmen können.

Ein Blick auf die DoC Webseite zeigt einem übrigens, dass die Hütten auf dem Track bereits für die gesamte Saison ausgebucht sind. Für alle die zu spät dran sind, also eine Überlegung wert den Routeburn wie wir in einem Tag zu durchlaufen. Sucht euch einen sonnigen Tag, schnappt euren Daypack und nehmt diesen einen Tag die Beine in die Hand. Es lohnt sich.

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Mittags treffen wir am höchsten Punkt, dem Harris Saddle, Jonas und Anja wieder, die uns vor zwei Stunden etwa, als wir gerade fleißig dabei waren Michas Rucksack trockenzulegen (sein Filter hatte sich von der Wasserblase gelößt und alles unter Wasser gesetzt), blitzschnell überholt hatten.

Snacken mit Ausblick steht auf dem Programm.

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Der Nachmittag verfliegt so schnell, vom Harris Shelter dreieinhalb zur Mackenzie Hut von dort zweieinhalb Stunden zur Lake Howden Hut.

Es ist 18 Uhr. Als ich an der Lake Howden Hütte ankomme, lasse ich mich erschöpft auf eine Bank fallen. Nun ist es nicht mehr weit bis zum Lake Howden Campingplatz, dem ersten Ort wo es für uns wieder erlaubt ist zu übernachten. Ich bin erleichtert und frage mich gleichzeitig wie ich es denn bitte noch bis dorthin schaffen soll. Endlose zwanzig Minuten sollen es noch sein.

Diese verflixten zwanzig Minuten sie wollen wirklich nicht umgehen. Immer das Gleiche: sag du willst noch eine Stunde weiterlaufen, recht am Anfang des Tages, diese Stunde wird vorbeifliegen und du wirst dich wundern, wo sie nur geblieben ist. Nimm dir kurz vor Ende deines Tages vor, noch eine Stunde weiterzulaufen und ich sage dir, diese dämliche, verflixte, unnötig überflüssige Stunde, sie wird zur Unendlichkeit. So wie jetzt. Es dauert eeewig.

Aber hey, die gute Nachricht ist, wir sind ja jetzt trotzdem angekommen! Toll oder? Dachte ich zumindest, als ich das grüne DOC Schild mit der Aufschrift „campsite“ das erste Mal zwischen den Bäumen erkennen kann. Meine Freude hält sich leider aber gerade in Grenzen. Diese wundervolle „campsite“ ist nämlich nichts weiter als eine von Hügeln übersähte Wiese. Schräglage inklusive. Wie bzw. wo sollen wir denn hier ein Zelt aufschlagen?

Ahh nach einem harten Wandertag gibt es nicht schöneres als sich mit einem leckeren Essen in wunderschöner Landschaft zu belohnen. Und es gibt nichts schlimmeres, als den Tag an einem ungemütlichen Ort zwischen hunderten von Sandflies ausklingen zu lassen. Leider ist dies ein „Campingplatz“ Typ B, Sandflies inklusive. Nicht so meins, frustriert setzt ich mich hin und esse einen Schokoriegel. Ich will nicht hierbleiben. Micha sieht es genauso.

Wir könnten zur nächsten Hütte, ich meine wir sind doch noch topfit ?. Mm naja wären wir gerne. Gerade fühle ich mich aber weder mental noch physisch zu irgendwas in der Lage. Der Gedanke hier jetzt das Zelt aufzubauen und draußen bei den Sandflies zu bleiben bringt mich gerade aber noch mehr an die Grenzen des Machbaren als die Idee weitere zwei Stunden durch den Wald zu laufen.

Immerhin kann ich mich dann direkt nach Ankunft auf eine Matraze fallen lassen und muss gar nicht mehr tun.

Die Entscheidung ist getroffen. Musik an (die letzte Rettung wenn gar nichts mehr geht) und wir sind unterwegs.

Eins Schritt. Zweis Schritt. Dreis Schritt (Ja richtig. Ihr habt richtig gelesen und fragt euch bestimmt gerade ob ich zu doof für die deutsche Grammatik bin? Vielleicht ja, vielleicht nein. Gerade spinnt mein Kopf aber einfach nur. Ich will nur ankommen.)

10000 Schritte. Wir sind da.

Waschen egal. Essen egal.

Alles egal. Einfach diese Schuhe loswerden und auf die Matraze fallen lassen.

Zumindest kurz.

Wenig später sitzen wir mit einem Elektrolytgetränk und Instantnudeln in dem riesigen Aufenthaltsraum der McKellar Hütte. Erschöpft aber glücklich. Diese Hütte wirklich so ist wunderschön. Der perfekte Ausklang für solch einen Tag. Die perfekte Belohnung für die Strapazen. Alles heute hat sich gelohnt. 🙂

Wenn da nicht dieser Morgen danach wäre. Es ist bereits 8:30 Uhr, in der Küche nebenan ist bereits voller Trubel, der ein oder andere Wanderer ist auch schon aufgebrochen. Und wir, wir liegen im Bett. Der kurze morgendliche „was tut mir alles weh Test“ ergibt, well shit, die armen Beine. Kein Morgen an dem man aufstehen möchte. Eigentlich. Leider habe ich nämlich, ja richtig, mal wieder, Hunger. Welch Überraschung, dieser blöde Hunger. Und keiner möchte mir Frühstück ans Bett bringen, alles muss man selbst machen.

Nun gut, wir haben Zeit. Heute haben wir uns nur eine „kleine“ Etappe vorgenommen. Die letzten 18 Kilometer bis zur Greenstone Hut, dann sind wir wieder auf dem Te Araroa Trail.

Schon beim Frühstück merken wir, dass wir nicht wirklich fit sind. Eine Vorahnung die sich beim Wandern bestätigt.

Wir sind zwar weder langsam unterwegs noch fühlen sich unsere Muskeln so schlimm an wie erwartet, aber wir sind einfach so so müde. Alles fühlt sich nach einer riesigen Anstrengung an, jeder Schritt, jeder Gedanke, einfach alles.

Aber der Weg ist leicht und zum Glück sind diese fünf Stunden Wandern absehbar. Denke ich. Für vielleicht zwanzig Minuten. Dann gucke ich das erste Mal auf meine Uhr. Oh was bitte, erst ZWANZIG Minuten?

Der Tag wird eeeeeeendlos. Eine Kuh. Noch eine. Und noch ein…. Halt stopp. Das ist keine Kuh. Ein riesengroßer Bulle versperrt uns den Weg, schnaubt und guckt uns etwas kritisch an. Hallo liebes Testosteron bepacktes Muskelpaket, Dürften wir mal vorbei?

Die Antwort ist ziemlich klar. Nein!

Und jetzt?

Wir gehen ein paar Schritte auf den Bullen zu. Und sind von kläglichem Erfolg gekrönt. Außer das dieser uns nun noch eindringlicher mustert passiert nämlich gar nichts. Ich muss an das DOC Schild denken, das wir vor einigen Minuten passiert haben. „Dont disturb Stock, give way to all animals on this property.“ stand dort, Schriftgröße 10000000. Nicht zu übersehen jedenfalls. Der Bulle scheint das zu wissen, die Tatsache das wir ihm immer näher kommen lässt ihn offensichtlich nicht daran denken auch nur einen Schritt von unserem Weg weg zu weichen. Wir stehen nur noch einige Meter von ihm entfernt. Ich möchte ihm nicht noch näher kommen, eher wegrennen. Kann er jetzt bitte einfach verschwinden? Die Anwesenheit dieses Bullen macht uns ziemlich Angst. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Bitte nicht Hörner voran auf uns zu stürmen, denke ich, während wir den nächsten Schritt wagen. Los geh schon! Es passiert … nichts. Einfach nichts. Ich gucke Micha an. Was sollen wir nur machen? Ich fühle mich hilflos. Der Bulle beobachtet immernoch jede einzelne unserer Bewegungen. Micha guckt mich an. „Komm noch ein Schritt!“ Wir stellen uns nebeneinander (angeblich soll man das doch bei Bären so machen, damit man größer wirkt?) und treten nach vorne. Einen Schritt. Dann noch einen.

Tatsächlich, das unglaubliche passiert. Der Bulle tritt ein paar Schritte nach hinten. Nicht das das jetzt hilfreich für uns wäre, der Weg ist jetzt noch mehr als vorher versperrt, aber wenigstens mal eine Reaktion. Endlich.

Wir machen weiter. Schritt für Schritt für Schritt. Eine aprupte Bewegung vor uns. Der Muskelklumpen springt zur Seite. Als ich die Augen wieder aufmache, steht er schon grasend im Gebüsch. Als wir endlich weiterlaufen können, muss ich noch lange über meine eigene Dummheit grinsen. Habe ich ernsthaft meine Augen geschlossen als der Bulle in den Busch nebenan gesprungen ist? Ein dämlicher Reflex ??.

Damit ich nicht wieder komplett ahnungslos so einem muuuhendem Muskelprotz gegenüber stehe lasse ich die Kopfhörer doch lieber wieder in der Tasche. Funktionieren eh nicht richtig (in Queenstown in „The Warehouse“ gekauft, erstes mal probiert. Wackelkontakt. Top?.)

Nach den Kühen kommen die Bäume. Ein Baum. Zwei Bäume. Drei Bäume… Naja ihr wisst wie.

Kleiner Baum, großer Baum, unförmiger Baum, spargeldünner Baum, Baby-Baum, … Hütte.

Hütte?

Wir sind daaa!!!

Die Greenstone Hut taucht zwischen den Bäumen auf. Der Blick auf die Uhr verrät, es ist erst 15 Uhr. Wir können uns auf einen entspannten Nachmittag freuen. Jippi. Es gibt Cräcker mit Käse und Tunfisch, heiße Schokolade und die ein oder andere lustige Unterhaltung mit einigen deutschen Wanderern. Die Zeit verfliegt und während sich die Hütte immer weiter füllt und Micha fleißig mit anderen Erfahrungen austauscht liege ich schon im Bett und lausche durch die offene Tür was die Neuankömmlinge zu berichten haben.

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Was für eine Nacht.

Ich habe geschlafen wie ein Baby. Na gut fast. Davon abgesehen, dass irgendwann heute Nacht ein paar Spätankommer ihr Bett so semileise zurecht gemacht haben zumindest. Schön wars. Schön auch mal wieder in einem Bett geschlafen zu haben. Fühlt sich komisch an das zu sagen. Wir kommen aus der Zivilisation, wo wir nur im Zelt geschlafen haben (war alles ausgebucht, Hauptsaison sei dank) und gehen ins Backcountry um in den Genuss eines Bettes zu kommen. Klingt falsch oder?

Unser Ziel heute: die Careys Hut, die ganze 28 Kilometer von uns entfernt liegt.

10 Kilometer dann erreichen wir die Taipo Hut. Weitere zwölf Kilometer dahinter die Boundary Hut. Dann nur noch sechs Kilometer, schon sind wir an der Careys Hütte.

Warte halt mal. Wie viele Kilometer noch mal bitte? Wer hat denn hier die Planung gemacht?? Micha guckt mich entgeistert an, und wir sind uns gerade selbst nicht mehr so sicher was wir uns dabei gestern wohl gedacht haben.

Eigentlich weiß ich es ja, es ist nur zu dumm es auszusprechen.

Acht bis neun Stunden laufen dachten wir uns. Normales Tagespensum auf dem Te Araroa also, dachten wir uns.

Naja stimmt, soweit alles richtig. Aber normalerweise ist der Weg so schlecht ausgebaut, dass man in acht Stunden auch keine 28 Kilometer schafft.

Wir brechen auf. Wir werden ja sehen wie weit wir kommen…

Weit kommen wir nicht. „Micha, lass uns mal eine kurze Pause machen, ich will meine Regenjacke anziehen.“ Einige große Tropfen klatschen uns in das Gesicht. Schön eingepackt geht es weiter. Gerade rechtzeitig, bevor der Regen so richtig loslegt. Na dann, liebe Regenjacke zeig dich heute doch mal von deiner nützlichen Seite (wer unsere vorherigen Blogeinträge gelesen hat weiß, dass ich ein sehr inniges Verhältnis zu meiner Regenjacke pflege. Sie sieht nämlich nicht nur schön aus und ist ultraleicht, nein ihr besonderes Feature ist ihre „Nicht – Dichtigkeit“. Toll oder? ?)

Dies und einige weitere Gedanken schießen mir durch den Kopf während Micha und ich auf dem Te Araroa abwechselnd durch Wald oder überdimensioniertes Tussockgras stapfen.

Überdimensioniert. Ein Wort weches Dinge so unwirklich klingen lässt wie diese Situation hier in der ich gerade stecke. Etwas genervt von der Tatsache, dass ich bis auf die Unterwäsche tropfend nass bin, bin ich Micha nämlich davongestapft.

Bitte liebe Hütte komm hinter der nächsten Ecke… Ich laufe weiter. Ok, schade. Aber dann hinter dieser nächsten Kurve.

Diese verflixte Kaugummifunktion des Zeitgefühls, ich verfluchte es.

Jetzt stehe ich hier zwischen Tussockgras und finde meinen Weg nicht mehr. Nicht, weil es keinen offensichtlichen Pfad gibt, nein umringt von Tussockgras welches weit über mich hinausragt ist es unmöglich die nächste Wegmarkierung zu erkennen. Ich quetsche mich durch das nasse Gras irgendwo in eine Richtung, die ich für die richtige halte. Wenn es irgendwo an mir eine noch trockene Stelle gegeben hat, jetzt ist diese definitiv auch nass. Na toll.

Aber da ist sie, die Taipo Hütte. Ich freue mich auf ein wärmendes Feuer und beeile mich noch etwas mehr.

Endlich diese nassen Sachen ausziehen. Aus den Schuhen kommt eine ganze Pfütze, die Socken kann man auswringen, meine Regenjacke hängt tropfend draußen über dem Geländer neben der Rucksackhülle. Zeit herauszufinden, ob meine Klamotten wirklich alle so nass sind wie sie sich anfühlen…

Sind sie. Aber sowas von. Mist.

Ich krame in meinem Rucksack nach Wechselklamotten, finde nur ein trockenes Sporttop und eine lange Hose. Nicht besonders wärmend. Wir entscheiden uns für die Schlafsackoption. Eingemummelt genießen wir eine heiße Schokolade, die Alternative wenn der lang ersehnte Kamin aus unerfindlichen Gründen nicht existent ist. Es regnet immer noch als würde die Welt untergehen.

Zeit für einen Mittagschlaf. Wenig später guckt mich Micha auffordernd an. Er kann genauso wenig schlafen wie ich, es regnet immer noch, aber die Hütte wirkt immer noch genauso ungemütlich wie vorher. Kalt, dreckig und voll mit Mäusekacke. Kein Platz um die Nacht zu verbringen. Ein französisches Paar erreicht die Te Araroa Hütte, wir quatschen kurz und treffen dann die Entscheidung: Wir werden weiter laufen.

Eine gute Entscheidung merken wir kurz darauf, als die Regenwolken sich lichten und der Sonne den Vortritt lassen. Manchmal ist das neuseeländische Wetter auch mal für positive Überrauschungen zu haben?.

Wir folgen dem Te Araroa Trail über Farmland, ein schöner, leichter Pfad vorbei ein tausenden Kühen und zahlreichen Schafen. Dann sehen wir schon die Boundary Hut.

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Dort angekommen, empfängt uns ein älterer Wanderer, der sich ganz offensichtlich über etwas Gesellschaft freut. Während wir eigentlich nur schnell unsere Wasservorräte auffüllen wollten, entbrennt eine super spannende Unterhaltung, sodass wir uns wenige Minuten später neben ihm auf dem Boden sitzend wiederfinden. Es geht um „trailmagic“, die drei großen Thruhikes der USA, und „kiwi hospitality“ und ganz nebenbei erfahren wir, dass „Shroomy“ (Trailname) die Triple Crown hat (eine Auszeichung die man erhält, wenn man alle drei Thruhikes der USA gelaufen ist). Wir sind begeistert und wollen jetzt natürlich alles ganz genau wissen, sodass wir die Zeit vollkommen vergessen. Fast eine Stunde später blicken wir wieder auf die Uhr und bemerken, dass es schon 19 Uhr ist. Ohje allerhöchste Zeit weiterzulaufen.

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Wenig später befinden wir uns auf dem Weg zu unserem endgültigem Ziel für heute. Die Careyns Hut. Die sechs Kilometer gehen leider nicht so schnell um wir erwartet. Unter anderem, weil „Shroomy“ mich auf eine geniale Idee gebracht hat: auf den Weideflächen wachsen überall Champignons, und die werde ich heute Abend zu dem öden Kartoffelbrei essen. Während Micha also Augen rollend neben mir steht, hüpfe ich auf der Wiese um her um mir ein paar frische Pilze herauszupicken.

Micha ist zwar nicht davon zu überzeugen, dass diese dubiosen Pilze in meinen Beutel wirklich essbare Champignons sind, und während eine kleine Diskussion entbrennt, nähern wir uns der Hütte immer weiter entlang eines „four wheel drive“. Ich fühle mich ein bisschen wie in einem Verhör: „Bist du dir zu 100% sicher, dass du die Pilze essen kannst? Wieso sind die innen leicht pink? Wie kann man Champignons von anderen Pilzarten unterscheiden?“ Auf manche Fragen habe ich eine Antwort auf andere nicht. Shroomy meinte man kann diese Pilze essen, sage ich nur, und erwähne beiläufig, dass sie nun mal genauso aussehen wie Champignons. Micha bleibt skeptisch.

Als wir an der Hütte ankommen, bin ich geschockt. Ich sehe zahlreiche Zelte. Das bedeutet nichts Gutes: die Hütte ist bereits voll.

Genervt von tausenden Sandflies um uns herum bauen wir das Zelt auf, bevor wir uns aufteilen. Micha schießt Fotos vom Sonnenuntergang während ich mich in die Hütte zum kochen verkrümele. Beides wird genial. Die Fotos wie das Essen. Lecker Champis. Selbst Micha möchte welche (wahrscheinlich nachdem er gesehen hat, dass ich noch lebe) und der ein oder andere Wanderer wirft uns neidische Blicke zu. Tag gerettet!

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Draußen ist es hell. Schon ziemlich lange sogar. Aber ehrlich gesagt möchten wir so gar nicht aufstehen. Gestern war doch anstrengender als vermutet. Wir fühlen uns nicht fit. Jetzt schon nicht.

Insgeheim weiß ich aber, dass dies nicht der Hauptgrund für unsere Antriebslosigkeit ist. Eigentlich ist es so: Wir müssen heute wieder knappe 30 Kilometer laufen. Wir müssen campen. Es soll regnen. Der Weg soll nicht besonders schön sein. Unsere Motivation und Antrieb fehlt.

Na mal sehen ob wir die noch wiederfinden können. Micha und ich machen uns auf den Weg. Es ist leicht, mal wieder ein „four wheel drive“ und bisher scheint sogar die Sonne. Kein Grund schlecht drauf zu sein also.

Wir geben uns alle Mühle. Aber es klappt nicht.

Wir sind erschöpft. Zuviele Nächte im Zelt, zu lange Strecken, zu wenig Ruhetage.

Wir wollen eine Pause von Wandern auf dem Te Araroa Trail. Wir überlegen, drehen die Dinge hin und her und entscheiden uns. Wir werden am Campingplatz, 10 Kilometer von hier entfernt, versuchen rauszuhitchen. Raus aus dem Backcountry. Ein paar Tage frei nehmen, den Regen aussitzen, die Beine entspannen. Bis wir das Wandern zu 100% wieder genießen, erst dann geht es weiter.

Te Araroa Fernwanderung Neuseeland

Erleichterung, wir sind beide froh. Jetzt hoffen wir inständig, dass auf diesem Campingplatz jemand ist, der uns zurück zur Zivilisation bringen kann. Ganze 40 Kilometer Schotterstraße sind das nämlich bis zum ersten Haus. Eine kleine Ewigkeit.

Wir laufen und laufen. Interessant, wie sich 10 Kilometer plötzlich wie ein Kaugummi ziehen können, und nur weil es die finalen Kilometer für den heutigen Tag sind. Also hoffen wir zumindest. Wunderschön ist es hier zumindest. Wir laufen entlang des Mavora Sees, schon seit wir aufgebrochen sind. Kleine Ozeane, diese Seen hier in NZ. Als wir am anderen Ende ankommen müssen wir ernüchtert feststellen: dieser Campingplatz, hat allein eine Ausdehnung von sechs (!) Kilometern. Wir können es kaum glauben. Immer mal steht hier und da ein Fahrzeug, dazwischen jeweils mehrere hundert Kilometer Nichts.

Hier hitchhiken? Gerade mal eine Hand voll Fahrzeuge ist zu sehen. Und die sehen nicht gerade so aus als wollen sie abreisen.

Also geht es weiter. Vom North Mavora Lake zum South Mavora Lake und weiter. Immer noch ist kein Fahrzeug vorbeigekommen.

Eine kleine Frustpause mit Marsriegel, dann gehts weiter. Eine weitere Stunde vergeht. Immer noch kein Fahrzeug. Dann endlich, eine Staubwolke und der Lärm von rollenden Reifen auf Schotter kündigen ein Auto an. Es fährt vorbei…

Inzwischen glaube ich, wir werden hier heute doch noch irgendwo campen. Ein zweites Auto nimmt uns letztlich mit, zwei Australier auf dem Weg nach Queenstown. Auf die wiederholte Frage wo wir denn nun eigentlich hinwollen, wissen wir gar nicht so genau was wir antworten sollen. „In die nächste Ortschaft die ihr durchfahrt“, antworten wir schließlich. Eine ganze Stunde fahren wir auf dieser Schotterstraße bis wir endlich auf dem Highway sind.

Als die beiden uns in Mossburn absetzen bestelle ich uns beiden erst einmal Fish&Chips, in dem einzigen Laden in diesem 200 Einwohner Ort.

Was ist das auch schon wieder für ein verrückter Tag?

Zahlreiche Telefonate später bekommen wir sogar noch zwei Hostelbetten in Te Anau, die letzten beiden im gesamten Ort.

Müssen wir nur noch hinkommen… Aber wenige Minuten später sitzen wir schon im Auto bei zwei Rentnern auf dem Weg nach Te Anau. Das ging mal wieder überraschend schnell.

Wir gehen einkaufen. Machen eine Waschmaschine. Genießen ein leckeres Essen in der Hostellounge mit Blick auf die verregneten Fiorde. Bekommen Wein geschenkt. Lesen, genießen, entspannen. Das haben wir uns verdient.

Miri und Micha

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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Wo ist denn die letzte Etappe nach Bluff? 😛

    Antworten
    • Explore360Degrees
      25. Oktober 2018 12:45

      Guten Tag! Erstmal bedanken wir uns für deinen Kommentar. Der Beitrag ist fertig geschrieben und liegt auf der externen Festplatte. Bisher hat es sich noch nicht richtig angefühlt ihn zu veröffentlichen. Er ist für uns sehr wichtig und wird daher zu unserem Bloggeburtstag veröffentlicht werden. Ganz liebe Grüße Micha

      Antworten
      • Leider finde ich den Bluff-Bericht immer noch nicht… Ist jetzt ja schon 2 Jahre her… Wäre schön diesen Bericht auch noch zu lesen. Bin selbst 2015/16 den kompletten Trail gelaufen.
        Gruss Marc aka 10-Speed

        Antworten
        • Outdoornomaden
          28. März 2020 10:46

          Hi Marc,
          oh je, das haben wir wohl total vergessen!
          Danke, dass du uns darauf aufmerksam gemacht hast, der letzte Te-Araroa Artikel folgt in Kürze :).
          Ganz liebe Grüße,
          Miri

          Antworten

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Miri und Micha stehen zusammen am Strand und lächeln in die Kamera. Im Hintergrund steht ihr Wohnmobil mit geöffneten Türen.

Mit unserem selbstausgebauten Van reisen wir um die Welt, sammeln Geschichten und Momente für Outdoornomaden, bewundern die großen und ganz kleinen Dinge, denen wir täglich begegnen. Im Van zu leben war immer unser großer Traum. 2020 haben wir unseren Mut zusammen genommen und uns unser Traumhaus auf vier Rädern gebaut. Zuhause ist nun, wo wir es parken. Wir glauben: Das Leben ist zu kurz für irgendwann. Und wer weiß schon was das Morgen bringen wird?

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